Buchbeschreibung
Nachdem ihre Mutter viel zu früh stirbt, wächst Maja bei ihrer Großmutter auf. Liebevoll kümmert sich diese um ihre Enkelin. Hin und her gerissen zwischen den dichten Wäldern im Fichtelgebirge und der wunderbaren Natur am Meer pendeln sie ständig zwischen ihren beiden Anwesen in Deutschland und Frankreich hin und her. Nach ihrer gescheiterten Ehe mit Anfang Dreißig, entschließt sie sich schließlich, für immer ans Meer überzusiedeln und zieht auf das Anwesen ihrer Großmutter, das direkt am Meer liegt. Als sie einen faszinierenden Franzosen kennenlernt, verlieben sich beide unsterblich ineinander. Schnell wird aus ihnen ein Paar. Allerdings spürt Maja, dass der neue Mann an ihrer Seite ihr etwas verschweigt. Als ein weiterer Schicksalsschlag sie ereilt, wird sie gezwungen, sich ihrer eigenen Familiengeschichte zu stellen. Und sie erfährt, dass nicht alles in ihrer Familie so ist, wie es bislang für sie scheint. Als unerwartet ein schreckliches Unglück geschieht, wird ihre Liebe noch einmal auf eine sehr harte Probe gestellt…
Eine spannende geheimnisumwobene Familiensaga und berührende hochemotionale Liebesgeschichte...
Über die Autorin
Iris Fischer ist 1968 in Baden-Württemberg geboren und hat lange Jahre in Bayern verbracht. "Die Sternsteins - wer es wagt, zu lieben" ist ihr erster Roman. Ihr Traum war es schon immer, Romane zu schreiben und ihre eigenen Geschichten mit ihren ganz eigenen Worten zum Leben zu erwecken. Als Therapeutin hat sie bereits einige psychologische Fachbücher veröffentlicht.
Leserstimmen
Eine Leserin schreibt...
Liebe Iris... ich habe dein Buch bestellt "Die Sternsteins" und mir zu Weihnachten geschenkt. Das Buch hat mich sehr berührt, Iris... es ist toll geschrieben...ich lese es sehr gerne... - Schön fand ich, dein Wesen in dem Geschriebenen zu spüren, deine feinen sinnlichen Beschreibungen. Ganz liebe Grüße
Buchdaten
Erschienen: 2021
Seitenanzahl: 456 Seiten
ISBN: 978-375-435755-2 - Taschenbuch
eBook
Preis: 14,99 Euro
Preis: 8,99 Euro
Leseprobe
Prolog
Frühlingsanfang 2010 – Frankreich – Côte d`Azur – Cap d`Antibes
Mitten im Regen stand Maja am Meer, das genauso aufgewühlt schien wie sie. Direkt an der Wasserlinie. Das unruhige Meer hatte denselben anthrazitfarbenen Ton angenommen, wie die Regenfront. Maja liebte das raue Wetter hier auf dem Cap. Dass sie trotz ihres aufgespannten Schirms nass wurde, störte sie nicht. Sie beobachtete, wie die Wellen immer wieder aufs neue heranrollten, zaghaft über den feinen Sand krabbelten wie tastende Fühler, dann im Sand nach und nach ausliefen und sich eilig wieder zurückzogen. Als wären sie bei etwas verbotenem ertappt worden. Das monotone und wiederkehrende Rauschen war hypnotisierend, fand Maja. Stundenlang konnte sie dastehen und über die Weite des Meeres hinausschauen. Bis hin zum Horizont. Wie hatte sie diese Atmosphäre in Deutschland vermisst! Am Meer hatte sie immer das intensive Gefühl, vollkommen frei und unabhängig zu sein. Jetzt war sie zuhause. Endlich! Sämtliche Dramen, die hinter ihr lagen, waren vergessen. Fast. Manche Dinge konnte sie nicht vergessen. Niemals. Sie waren für immer in ihre Seele gebrannt, wie eine ewig währende Tätowierung. Maja hatte nicht vor, in ihrer Vergangenheit zu verweilen. Sie sah nur in die Zukunft. Von jeher hatte sie davon geträumt, hier auf dem Cap zu leben. Für immer. Und jetzt konnte sie sich diesen Traum endlich erfüllen.
Maja wusste nicht, wie lange sie dort am Meer mitten im Regen stand. Aber irgendwann hatte sie doch genug. Und so kehrte sie dem nassen Wetter den Rücken und lief barfuß zurück ins Haus. Da ihr Magen knurrte und sie noch nicht gefrühstückt hatte, gönnte sie sich einen frisch aufgebrühten, heißen, Cafè au Lait. Dazu aß sie einen der köstlichen Schokoladenmuffins mit flüssigem Kern, die ihr Jonas zum Abschied nach dem geheimen Rezept ihrer Großmutter gebacken hatte. Während sie an dem Muffin kaute, sah sie sich im Wintergarten um, der an der Längsseite der Küche angrenzte. Sie liebte diesen Raum, mit den unzähligen Grünpflanzen und den Korbmöbeln, mit den dicken gemütlichen Sitzkissen. Als Kind hatte sie sich manchmal zwischen den Pflanzen versteckt und sich auf die Lippen gebissen, um nicht zu kichern und ihr Versteck ihrer Großmutter zu verraten, die sie wieder einmal überall suchte. Der Regen trommelte sachte gegen die Scheiben. Sie konnte gar nicht mehr zählen, wie oft sie schon ihre Zeit und als Kind ihre Sommer hier verbracht hatte. In gut zwei Wochen würde Jonas aus Deutschland nachkommen. Darauf freute Maja sich ganz besonders. Denn der einzige Kontakt, den sie außer ihm hier an der Côte d`Azur hatte, war der, zu ihrer siebzehnjährigen Nichte. Da die aber auf eine Privatschule ins knapp einhundertneunzig Kilometer entfernte Marseille ging, sahen sie sich meist nur dann, wenn sie an den Wochenenden nach Hause kam. Und zusätzlich in den Ferien.
Aufgrund des Regens war es draußen den ganzen Tag düster. Und so konnte sie sich nicht am Stand der Sonne orientieren, um zu wissen, wie spät es gerade war. Mit einem Blick auf ihre weiße Armbanduhr, die sie auf der Naturstein-Arbeitsplatte in der Küche abgelegt hatte, stellte sie fest, dass das Ziffernblatt noch nicht einmal zwölf Uhr zeigte. Also hatte sie den gesamten Nachmittag Zeit, sich um die noch herumstehenden Umzugskartons zu kümmern, Sachen auszusortieren und an ihren zukünftigen Platz zu räumen. Gerade hatte sie allerdings keine Lust dazu. Etwas nachdenklich setzte sie sich an ihr Piano, dass vor einem der bodentiefen und weiß gestrichenen Sprossenfenster im Wohnzimmer stand. Die beiden Flügel der Terrassentüre waren zum Garten hin weit geöffnet, während von draußen das kontinuierliche Rauschen des Regens zu ihr hereindrang. Sie legte ihre Finger auf die Tasten und fing leise an zu spielen. Früher hatte sie oft mit ihrer Großmutter zusammen am Piano gesessen und vierhändig gespielt. Heutzutage konnte die fast neunzigjährige alte Dame das kaum noch, denn sie plagte eine schmerzhafte Arthritis in den Fingern. Als Maja auch davon genug hatte, saß sie eine Weile still da und lauschte dem Regen. Ansonsten war nichts zu hören. So viel Ruhe war Maja gar nicht gewöhnt. Zumindest nicht dauerhaft. Sie war es auch nicht gewöhnt, tun und lassen zu können, was ihr in den Sinn kam. Irgendwie war diese Vorstellung zwar berauschend, aber gleichzeitig machte sie ihr auch Angst. So viel Eigenverantwortung und Selbständigkeit kannte sie nicht aus ihrem bisherigen Leben. Als sie sich während ihrer Ehe ab und an alleine hierher ans Meer geflüchtet hatte, war das ein vollkommen anderes Gefühl gewesen als heute. Jetzt war sie innerlich frei. Endlich. Und das war einfach wunderbar. Es war für sie etwas vollkommen anderes, ihren Wohnsitz mit einem Mal konstant hier zu haben und nicht immer wieder nur sporadisch hier zu verweilen. Daran musste Maja sich erst noch gewöhnen. Sie stand auf und tigerte durch das alte Haus. Über die großzügig geschnittene Diele wanderte sie von Zimmer zu Zimmer. Vor jeder Tür blieb sie stehen und warf einen prüfenden Blick in den jeweiligen Raum. Natürlich sah es längst nicht mehr so aus, wie damals, als ihre Urgroßmutter und Großmutter ihre Zeit hier verbracht hatten. Maja erinnerte sich, wie viel Zeit, Geld und Energie sie die letzten paar Jahre dafür aufgebracht hatte, die Renovierungen zu planen, in Auftrag zu geben und so wie es ihre Zeit erlaubte, persönlich zu überwachen. Sowohl von außen, als auch im Inneren, hatte sich einiges verändert und war nun deutlich moderner geworden. Ein paar Dinge im Haus hatte Maja allerdings, aus sentimentalen und grundsätzlichen Gründen, so gelassen, wie sie ursprünglich einmal gewesen waren. Die uralte Holztreppe, die in den oberen Stock und zum Dachboden führte, zum Beispiel. Als sie die Stufen hinaufstieg und unter ihren nackten Füßen das abgenutzte und glatte Holz spürte, knarzten und ächzten sie unter ihren Schritten, als ob sie eingerostet wären. So wie es über all die Jahre schon der Fall gewesen war. Und genau das liebte sie. Denn es war ihr von klein auf vertraut. Es erinnerte sie immer an ihre Kindheit, als sie die Ferien mit ihrer Großmutter hier verbracht hatte. Allerdings hatte sie die Treppe, sowie das verzierte Säulengeländer, jetzt antik weiß streichen lassen. Als sie ihre Finger nun über das glatt geschliffene Teakholz gleiten ließ, sah sie sich plötzlich wieder als kleines Mädchen, in einem ihrer pastellfarbenen, leichten Sommerkleidchen, mit den farblich dazu passenden Ballerinas an ihren winzigen Füßen. Für das dieses Haus immer ein Abenteuer gewesen war. Wie hatte sie es damals geliebt, die verwinkelten Flure und zahlreichen Räume zu erkunden, um sich dann irgendwo zu verstecken. Ihre Großmutter hatte oft nach ihr gerufen und Maja hatte keinen einzigen Mucks von sich gegeben. Es hatte immer eine ganze Weile gedauert, bis ihre Großmutter sie dann gefunden hatte. Das war schon zum obligatorischen Ritual zwischen ihnen geworden. Jedes Mal, wenn sie hierherkamen. Ein paar der antiquarischen Möbelstücke gab es heute noch. Sie gehörten einfach in dieses Haus. Maja hatte sie bewusst behalten. Die äußere Fassade war früher einmal weiß gewesen. Jetzt strahlte sie in dezentem vanillegelb. Auch die Fensterläden, mit den Lamellen aus terrakottafarben gestrichenem Holz, gab es nicht mehr. Da Maja Sprossenfenster liebte, hatte sie alle Fenster komplett auswechseln lassen. Teilweise wurden sie sogar bodentief vergrößert. Die Rahmen bestanden aus edlem Holz und wurden weiß gestrichen. So wurde das Haus lichtdurchflutet und besaß jetzt eine völlig andere Aura als früher. Das mediterrane Flair hatte Maja allerdings beibehalten. Denn gerade das liebte sie. Die Wände, zwischen der Küche mit ihrem angrenzenden Wintergarten im Westen und dem Esszimmer und den beiden früheren Wohnräumen auf der gegenüberliegenden Seite, hatte sie einreißen lassen. So wurde aus ehemals düsteren Zimmern ein offener und äußerst großzügig geschnittener Bereich, in den das Licht nun von allen Seiten einfiel. Durch Majas edlen Geschmack hatte sich eine harmonische Wohlfühlatmosphäre gebildet. Weiter gab es in dem verschachtelten Haus, ebenerdig auf der rechten Seite, das zweite Badezimmer und eine Gästetoilette. Gleich links neben der Eingangstüre befand sich das gemütliche und großzügig geschnittene Gästeschlafzimmer, mit Blick direkt auf das Meer, das ihrer Urgroßmutter früher einmal als Büro gedient hatte. Und natürlich die helle und freundliche Diele, mit dem weißen Natursteinfliesenboden. Der obere Stock beherbergte im Norden des Hauses das überaus großzügig geschnittene und luxuriöse Badezimmer, dass die Form eines auf die linke Seite gekippten L hatte. Eine weitere Gästetoilette und Majas persönliches Schlafzimmer. Der hier angebaute Balkon zog sich um die Ecke des Hauses, mit Blick von der Meeresseite im Osten, bis hin in den langgezogenen Garten im Süden. Das links angrenzende Zimmer benutzte sie grundsätzlich als Ankleideraum. Hier brachte sie auch ihre nicht unbeträchtliche Schuhsammlung unter. Jetzt allerdings warteten noch etliche verschlossene Kartons darauf, von ihr ausgepackt zu werden. Die drei Gästeschlafzimmer, von denen das große Eckzimmer im Südwesten ebenfalls einen Balkon, in westliche Richtung, sein Eigen nennen durfte, lagen vom Meer abgewandt und boten den Blick ins Grüne. Vor den Fenstern standen drei uralte, hohe, Tannen. Außerdem gab es in der riesigen, verzweigten Diele auf der Meeresseite eine breite, bodentiefe Fensterfront, mit französischem Balkon, die einen direkten Blick auf das Wasser bot. Dort hatte Maja eine großzügige Arbeits- und Leseecke eingerichtet. Zwei naturfarbene Sofas aus Rattan, mit dicken, fliederfarbenen Polstern, standen sich gegenüber. In ihrer Mitte mehrere bequeme Sessel aus demselben Material. Maja hatte die Möbel so angeordnet, dass man von jedem Platz aus einen offenen Blick auf das Meer hatte. Dazwischen stand ein niedriges Tischchen mit geschwungenen und verzierten Beinen aus massivem Kiefernholz. Darauf lagen immer einige Bücher. Manchmal saß Maja dort und las. Oder sie hatte ihr Notebook auf ihrem Schoß und schrieb an einem ihrer Manuskripte. Sie war Buchautorin und schrieb mystische Romane. Schon seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr.
Zwischendurch aber saß sie einfach nur da und genoss den herrlichen Blick aufs Meer. Gerade, wenn es so wie heute regnete oder wenn es stürmte. Und vor allem im Winter. Dann mummelte sie sich in ihre weiche, fliederfarbene Fleecedecke ein und entspannte sich. An der Nordseite dieser zauberhaft eingerichteten Ecke gab es sogar einen richtigen Balkon. Für einen Moment nahm sie jetzt auf einem der gemütlichen Sofas Platz. Sie sah nach draußen. Es hatte sich regelrecht eingeregnet und machte nicht den Eindruck, als würde es so bald wieder aufhören. Dann wanderte ihr Blick über die Einrichtung. Diese Ecke hatte sie mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Eigentlich fühlte sie sich hier wie in einem zweiten Wohnzimmer. Über jedem Sofa waren zwei versetzte Regalbretter an der Wand angebracht. Dort standen, saßen und lagen, einige weiße Engel aus unterschiedlichen Größen und Materialien. Sie gaben Maja ein Gefühl von Sicherheit und Schutz. In dem großen Karton, der vor einem der Fenster stand und den sie aus ihrem alten Leben in Deutschland mitgebracht hatte, waren noch mehr davon. Besonders stolz war sie auf die nostalgische Tiffany-Stehlampe, mit dem Sockel aus dunkelbraunem Holz, die noch aus Zeiten ihrer Urgroßmutter stammte. Seufzend erhob sie sich schließlich und fing an, die Kartons, einen nach dem anderen, auszupacken und ihre persönlichen Sachen an ihre neuen Plätze zu verstauen. In den Jahren ihrer Ehe hatte sich einiges angehäuft. Auch etliche Erinnerungsstücke aus ihrer Kindheit hatte sie jetzt endlich hier im Haus. Alles was sie gerade nicht benötigte, räumte sie erst einmal auf den Dachboden. Seit Ewigkeiten war Maja nicht mehr hier oben gewesen, stellte sie mit einem Stirnrunzeln fest, als sie sich einmal um sich selbst drehte und ihren Blick schweifen ließ. Es war düster und etwas unheimlich. Die absolute Stille war fast beängstigend. Licht fiel nur durch drei winzige Fenster. Sie durchschritt langsam, einmal rundherum, den riesigen Raum und hinterließ ihre Fußspuren auf dem staubübersäten Boden. Hier müsste mal gekehrt werden, ging es ihr durch den Kopf. Überall hingen Spinnweben in den Ecken und an den Holzbalken. Und es roch muffig. Maja entdeckte einen uralten dunkelbraunen Holzschrank mit Reliefs in beiden Türen und mehrere verstaubte Kommoden aus massivem Holz. Außerdem etliche Kartons, die, offensichtlich seit vielen Jahren unbenutzt, hier oben herumstanden. Sie nahm sich vor, die vielen alten Sachen, die sich hier befanden, auszusortieren, wenn sie irgendwann einmal Zeit und Lust dazu hatte. Wer weiß, welche Schätze sie da zum Vorschein brachte? Sie warf einen neugierigen Blick aus jedem der drei kleinen Fenster. Aus dem ersten hatte sie einen wundervollen Blick über das Meer. Als sie es öffnete, drang das rhythmische Rauschen des herabströmenden Regens an ihr Ohr. Sie streckte die rechte Hand aus und beobachtete, wie die perlenden Tropfen über ihre nackte Haut liefen. Als sie die Hand zurückzog, fielen ein paar Tropfen auf den Boden zu ihren Füßen und hinterließen feine Spuren im Staub. Das zweite lag auf der Seite über der Haustüre und zeigte über das Cap in Richtung des Yachthafens von Antibes, während das dritte auf der schräg gegenüberliegenden Seite einen Blick über ihren weitläufigen Garten gewährte. Das Dachgebälk aus massivem Holz, hoch über ihrem Kopf, war weit verzweigt. Jetzt fehlt nur noch, dass es hier spukt, schoss es ihr durch ihre Gedanken. Prompt hatte sie eine Idee für einen neuen Roman. Hastig lief sie die Treppe nach unten ins Wohnzimmer und schnappte sich Notizblock und einen Kugelschreiber. Sie musste ihre Eingebungen sofort skizzieren, damit wertvolle Ideen nicht verloren gingen. Denn das Gedächtnis war fehlbar. Es floss fast wie von selbst. Sie war so vertieft ins Schreiben, dass sie dabei völlig die Zeit und das Ausräumen ihrer Kartons vergaß. Sie hörte erst auf, als sie sicher war, jegliche Gedanken aufs Papier gebracht zu haben. Als sie endlich ihren Stift aus der Hand legte, stellte Maja erstaunt fest, dass inzwischen mehr als drei Stunden vergangen waren. Allerdings machte sie sich keine Gedanken darüber. Sie hatte Hektik und Stress aus ihrem Leben verbannt. Jetzt war der pure Genuss an der Reihe. Sie hatte beschlossen, es sich hier so richtig gemütlich zu machen. Und das würde schon werden. Egal wie lange es dauerte, bis sie all ihre Kartons ausgepackt hatte. Und wenn ihr danach war, herumzutrödeln, dann tat sie das eben. Wer sollte sie schon daran hindern, wenn nicht sie selbst?
Am nächsten Morgen stand Maja sehr früh auf. Der Regen hatte sich über Nacht verzogen und der Sonne wieder ihren Platz an einem tiefblauen und wolkenlosen Himmel überlassen. Sie ging in ihr Ankleidezimmer, dass durch die herumstehenden Kartons noch sehr chaotisch aussah. Aus ihrem Schrank aus edlem Kirschbaumholz holte sie weiße Jazzpants mit breitem Stretchbund und ein weißes Stretchtop mit Spaghettiträgern. Darüber zog sie die weiche, weiße Sweat-Kapuzenjacke vom Vortag, die ihre weiblichen Rundungen betonte. Dann lief sie leichtfüßig, auf bloßen Füßen, durch den Flur ins Badezimmer. Vor dem breiten Kristallspiegel mit dem goldenen Barockrahmen, der über dem Waschbecken angebracht war, band sie ihr von Natur aus platinblondes Haar wieder zu einem straffen Zopf zusammen. Barfuß lief sie über die knarzende Treppe nach unten. Im Flur schnappte sie sich weiße Zehentrenner aus edlem Rindsleder, ihre dunkelbraune Designersonnenbrille und ihre Autoschlüssel. Dann verließ sie das Haus. In ihrem weißen Audi TT Cabrio fuhr sie über die Küstenstraße hinüber ins nahegelegene Nizza. Sie wollte an ihren Lieblingsstrand. Ziemlich am Anfang der Bucht, nahe des Flughafens, stellte sie ihren Wagen ab. Ihre Zehentrenner ließ sie auf der Matte vor dem Fahrersitz stehen. Mit der Sonnenbrille auf der Nase und dem Autoschlüssel in der Jackentasche fing sie auf der Promenade an zu laufen. Immer die Weite des Meeres zur Seite. Über die gesamte Länge der Baie de Anges – der Bucht der Engel. Das waren immerhin sieben Kilometer. Und den ganzen Weg musste sie auch wieder zurück. Aber das war Maja egal. Sie war gut zu Fuß. Der harte Betonboden unter ihren nackten Füßen war zwar noch kalt, aber das störte sie nicht. Sie war das Barfußlaufen hier gewöhnt. Sie lief grundsätzlich ohne Schuhe, wenn sie an ihrem Lieblingsstrand unterwegs war. Es tat ihr unendlich gut. Tief atmete sie die Meeresluft ein und schritt zügig voran. Außer ihr waren noch andere Frühaufsteher unterwegs und genossen die frische Morgenluft am Strand. Ihr fiel gar nicht auf, dass mehrere Männer ihr bewundernd hinterher sahen. Auf derlei Dinge achtete Maja nicht. Sie hatte jetzt nur ihr geliebtes Meer im Kopf. Wie lange war sie nicht mehr hier gewesen. Genau diese besondere Stimmung hatte ihr so sehr gefehlt. Immer wenn sie aus irgendwelchen Gründen für längere Zeit in Deutschland sein musste, hatte sie früher oder später eine so tiefe Sehnsucht nach dem Meer entwickelt, dass sie es kaum aushalten konnte. Ihr Herz hatte dann regelrecht geschmerzt. Erst als sie wieder hier auf dem Anwesen ihrer Familie war, hatte das ständige Ziehen in ihrer Brust aufgehört.
Maja liebte die Magie des Lichts an der Côte d`Azur. Besonders zu dieser Tageszeit. Es war weich wie Seide, und gleichzeitig von einer derartigen Intensität, wie sie es nirgendwo anders erlebt hatte. Und das Meer war von einem so unvergleichlichen Blau, dass Maja immer wieder aufs Neue fasziniert war. Dieses unbeschreibliche Gefühl, dass sich immer dann einstellte, wenn sie hier war, hatte sie nirgendwo sonst auf der Welt. Nur hier am Wasser fühlte sie sich so wohl und geborgen. Na ja, außer in ihrem Elternhaus natürlich. Aber auf eine vollkommen andere Weise. Sie lief die Promenade entlang und bekam nicht genug. Sie lief einfach weiter und immer weiter. Links von ihr, auf der anderen Seite der vierspurigen stark befahrenen Küstenstraße, reihten sich die Hotels, Restaurants und Bistros aneinander, wie Perlen auf einer Kette. Irgendwo mitten auf der Strecke machte sie Pause. Im Schneidersitz ließ sie sich auf der Kante der Mauer nieder, die zum Strand abfiel, der ein Stück tiefer lag als die Promenade. Ihr Blick glitt über den weitläufigen Kiesstrand. Die ersten Sonnenanbeter waren schon da und lagen entspannt auf ihren Handtüchern oder auf Liegen. Hinter ihr auf der Promenade waren Radfahrer, Inlineskater und Jogger unterwegs. Das Meer zeigte sich in seiner typisch azurblauen Farbe. Maja war innerlich vollkommen ruhig. Sie fühlte sich Zuhause. Mit den Händen rechts und links auf dem Beton abgestützt saß sie da und reckte ihr Gesicht in die Sonne. Dann schob sie sich mit beiden Händen die Sonnenbrille über ihre Stirn und betrachtete mit leicht zusammengekniffenen Augen sinnend das tiefe Blau des Himmels über sich. Als sie sich darauf einließ, hatte sie das intensive Gefühl, in dieses Blau hinein gesogen und von ihm verschlungen zu werden. Es war irgendwie…ja…magisch. So saß sie eine ganze Weile da und blendete alles aus, was sich um sie herum abspielte. Sie geriet fast in Trance. Nach einer gefühlten Ewigkeit – obwohl es in der Realität nur ein paar Minuten waren - fand sie langsam in die Wirklichkeit zurück und ihre Augen tasteten das Meer bis hin zum weit entfernten Horizont ab. Die Luft war einfach herrlich. So rein. Und vollkommen anders als in ihrer ursprünglichen Heimat in Deutschland. Ihre Atemzüge waren tief und sie konzentrierte sich ganz bewusst darauf. Sie beobachtete die kniehohen Wellen, die gemächlich heran walzten und sich über die silbergrauen Kiesel am Strand ergossen und über den Steinen ausbreiteten, als würden sie diese mit einer schützenden Decke kühlendem Wasser zudecken wollen. Sich dann aber wieder ins Meer zurückzogen, als würde sie jemand in die entgegengesetzte Richtung dirigieren. Solange bis sie wieder rauschend heranrollten. Sich wieder über die Kiesel tasteten. Und sich wie magnetisch bestimmt wieder zurückzogen. Und dasselbe Spiel sich wieder und wieder wiederholte. Unablässig. Denn sie konnten nicht anders. Das war ihre Natur. Das ist Beständigkeit in seiner reinsten Form, dachte Maja bei sich. Denn das Meer war immer anwesend. Es ließ einen niemals im Stich. Das taten nur Menschen. Menschen ließen einander im Stich. Sie ließen sich gegenseitig achtlos allein. Sie bemerkte nicht, dass mehrere Meter neben ihr ein Mann saß, der sie anerkennend die ganze Zeit über beobachtete. Als ihr umherschweifender Blick sich zufällig in seine Richtung verirrte, lächelte er sie ganz offenherzig an. Maja stutzte kurz, verzog dann verächtlich ihr Gesicht und beachtete ihn nicht weiter. Aber er gab so schnell nicht auf. Als Maja plötzlich eine männliche Stimme neben sich vernahm, ging der Typ, der sie gerade angelächelt hatte, vor ihr in die Hocke. Er hatte es tatsächlich gewagt, zu ihr herüberzukommen. Dabei lächelte er immer noch. Dieses Mal sah Maja genauer hin, aber ihre Augen funkelten zornig. Warum ließ er sie nicht einfach in Ruhe? Was sie sah, war ein mittelgroßer Mann mit dunkelblonden Haaren, in verwaschenen Jeans und rauchblauem T-Shirt, dass ihm locker über den Hüften hing. Nach seinem kantigen Gesicht zu urteilen, wirkte er wie Mitte vierzig. Sein Lächeln war aber dennoch durchaus charmant zu nennen.
„Darf ich dir sagen, dass du bezaubernd aussiehst?“ versuchte er in französischer Sprache mit ihr anzubandeln. Aber Maja beschloss, die Unnahbare zu spielen. Sie hatte kein Interesse an einem Flirt. Sie tat so, als ob sie ihn nicht verstand. Sie zuckte nur mit den Schultern und lächelte unschuldig.
„Leider spreche ich deine Sprache nicht,“ konterte sie in ihrer Muttersprache auf Deutsch.
„Wie bitte? Was hast du gesagt?“ hakte der Franzose nach.
„Ich verstehe dich leider nicht,“ wiederholte Maja und unterdrückte dabei ein Grinsen.
„Warum ist eine so hinreißende junge Dame wie du so ganz allein unterwegs zu dieser Tageszeit?“ versuchte der Franzose es erneut.
„Tut mir leid, aber ich weiß nicht, was du von mir willst,“ gab Maja wieder in deutscher Sprache zur Antwort.
„Darf ich dich vielleicht auf einen Cafè au Lait in eines der Bistros auf der anderen Seite der Straße einladen?“ Die Stimme des Franzosen hatte einen dunklen Klang. Anscheinend war es nicht seine Art einfach aufzugeben, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.
„Schade, dass du nicht kapierst, dass ich meine Ruhe haben will,“ verlor Maja langsam die Geduld.
„Ich würde dich gerne kennenlernen. Verstehst du was ich sage?“
Meine Güte. Der kapierte aber auch gar nichts. Warum verzog er sich nicht einfach und ließ sie allein? „Bist du immer so aufdringlich zu dir unbekannten Frauen?“ blitzte sie ihn wütend an und stand auf. Ihr reichte es jetzt. Er lächelte immer noch unschuldig. Aber erhob sich ebenfalls höflich. Es stellte sich heraus, dass er ungefähr eine Fingerspanne größer war als sie. Und er entsprach überhaupt nicht dem Typ Mann, der Maja jemals gefährlich werden konnte.
„Willst du schon gehen? Das ist schade,“ meinte er bedauernd.
„Sag mal, kapierst du es eigentlich nicht, wenn eine Frau nicht an dir interessiert ist? Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Ich werde jetzt gehen! Und ich rate dir, mir auf keinen Fall zu folgen,“ fuhr sie ihn wütend in perfektem französisch an.
Bei der Erkenntnis, dass sie ihn sehr wohl verstanden hatte, riss der aufdringliche Franzose die Augen weit auf. Vollkommen perplex sah er sie an, aber Maja war das egal. Sie wandte sich von ihm ab, um ihren Spaziergang fortzusetzen. In dem Moment, als sie sich umdrehte, rempelte sie versehentlich jemanden an. Erschreckt hielt sie inne und sah auf. Das Wort blieb ihr im Hals stecken, als sie sich einem in die Jahre gekommenen, schlanken und hochgewachsenen Herrn gegenübersah. Er war elegant gekleidet und wirkte sehr distinguiert... - © Iris Fischer - www.sensible-seele.net